Charisma Read online




  Für Jane und Lady Margaret

  und Keith Roberts, der Gottes Land ebenfalls liebt Und für Daphne,

  die Pallahaxi Browneyes ist

  und es nicht weiß

  HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/4625

  Titel der englischen Originalausgabe CHARISMA

  Deutsche Übersetzung von Hans Maeter

  Das Umschlagbild schuf Boris Vallejo

  Redaktion: Rainer Michael Rahn

  Copyright © 1975 by Michael Coney

  Copyright © 1989 der deutschen Übersetzung

  by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

  Printed in Germany 1989 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: Schaber, Wels Druck und Bindung: Presse-Druck Augsburg ISBN 3-453-03493-7

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  Michael G. Coney – Charisma

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  ICH LIESS DIE ANDEREN in der Kabine sitzen und trat durch die breite Tür auf das überdachte Achterdeck. Das Boot glitt ruhig über das leicht bewegte Wasser hinweg; wir fuhren parallel zu den etwa eine Viertelmeile entfernten Klippen. Die flachen Wellen rollten diagonal zu unserem Kurs und klatschten aufgischtend gegen die zerklüfteten, schwarzen Felsen. Ich hörte wieder das laute Lachen Mellors’ aus der Kabine; das Sopran-Kichern, von dem es begleitet wurde, stammte von seiner Frau.

  Copwright steuerte die Hilfskontrollen in der Kabine; in diesen Gewässern konnte nicht viel passieren – doch würde ich ihn ablösen, wenn wir die Zufahrt von Falcombe erreichten. Ich warf einen Blick durch das Fenster und sah ihn bequem in seinem Sessel sitzen; er beteiligte sich an der Konversation und blickte nur gelegentlich auf den Radarschirm oder durch die Frontschei-be. Ich habe noch nie einem Mann getraut, der Gin trinkt. Er hatte mir den Rücken zugewandt; neben ihm saß Jean Longhurst mit einem Martini in der Hand.

  Ihnen gegenüber saßen Mellors und seine Frau. Mellors erzählte irgendeine Anekdote; ich konnte nicht verstehen, was er sagte, doch schien die Geschichte zumindest ihn zu amüsieren.

  Immer wieder gestikulierte er mit seinem Glas, und einmal sah ich ihn ein paar Tropfen des Drinks auf das Kleid seiner Frau verschütten. Dorinda Mellors blickte ihren Mann strafend an und tupfte die Flecken mit einem Taschentuch ab, während er, der nichts davon bemerkt hatte, weitersprach.

  Pablo stand etwas abseits und beobachtete sie – bei der Gruppe, doch nicht Teil von ihr. Er war wie ich in der eigenartigen Situation, die Mellors weitaus besser zu kennen als Alan Copwright oder Jean Longhurst, fühlte sich in ihrer Gesellschaft jedoch nicht wohl, weil ihre Beziehungen rein geschäftlich waren.

  Ich fragte mich, warum die Mellors so flüchtige Bekannte mitgenommen hatten; Alan und Jean lebten erst seit kurzer Zeit in Falcombe und hatten die Mellors gestern kennengelernt, an der Bar des Falcombe Hotels.

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  Michael G. Coney – Charisma

  Ich wandte mich um und sah das Wasser rasch unter dem Rumpf der Hausyacht fortgleiten. Auf einem Tisch neben mir lag die Angelschnur mit ihrem Haken; einem Impuls folgend warf ich sie über Bord und beobachtete, wie die Leine sich straffte, als der kleine, torpedoförmige Haken seine Position etwa zwanzig Fuß hinter dem Heck und vier Fuß unter der Wasseroberfläche einnahm. Ich hörte ein Geräusch hinter mir; Pablo kam heraus und trat neben mich an die Reling.

  »Alles in Ordnung da drin?« fragte ich.

  »Der Alte scheint ganz glücklich zu sein. Ich glaube, er hat ein Auge auf Jean geworfen.«

  »Jesus!«

  »Schon in Ordnung. Er macht das sehr unauffällig. Ich glaube nicht, daß Dorinda etwas gemerkt hat.«

  Zur Zeit wollten weder Pablo noch ich, daß irgend etwas geschah, das Mellors von dem derzeitigen Geschäft ablenkte. Die nächsten Tage waren entscheidend.

  Bis vor vier Monaten hatte ich bei Pablo als Verkäufer gearbeitet; er hat eine kleine Bootswerft bei Wixmouth. Im vergangenen Juni hatte ich gerüchteweise gehört, daß Wallace Mellors, ein reicher Hotelier in Falcombe, interessiert wäre, eine Flotte von Hausyachten zu kaufen, als Ergänzung zu seinen verschiedenen anderen Unternehmen in der Gegend. Soweit ich die Situation überblickte, bestanden keinerlei Schwierigkeiten für den Betrieb der Boote, da Mellors den Stadtrat – genauer gesagt, die ganze Stadt – in der Tasche hatte. Es ging lediglich darum, den Mann davon zu überzeugen, daß die Sache sich für ihn lohnen würde. Ich war sicher, daß mir das gelingen würde.

  Ich hatte früher Hotels geleitet, Hausyachten auf Charter-Basis geführt und sehr überzeugende Artikel für Yacht-Magazine geschrieben; deshalb glaubte ich genau der richtige Mann zu sein, um Mellors Wellenlänge zu finden.

  Pablo betreibt seine Werft auf einer bescheidenen Basis. Er hat etwa ein Dutzend Mitarbeiter und stellt Standard-

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  Fiberglasrümpfe her, in die er eine Hover-Turbine installiert und eine Kabine nach den Wünschen des Kunden. Der fertige Artikel ist geräumig genug, um darauf leben und bei fast jedem Wetter mit fünfzig Meilen fahren zu können. Ein Abschluß wie dieser –

  es ging dabei um etwa zwölf Boote – würde Pablo Arbeit für den ganzen Winter geben und einen schönen Profit.

  Also hatte ich Mellors aufgesucht und wohnte auf seine Rechnung im Falcombe Hotel, das ihm gehörte. Wir schienen vom ersten Tag an blendend miteinander auszukommen, und als ich meine Erfahrungen in der Hotelbranche erwähnte, wurde er sehr interessiert. Er hatte gerade seinen Manager gefeuert und suchte einen Ersatz. Und nicht nur das, er brauchte auch jemand, der sich um die Hausyachten kümmerte, wenn sie geliefert wurden – inzwischen hatte ich ihn davon überzeugen können, daß es sich lohnte, die Sache ernsthaft zu überdenken.

  Kurz gesagt: Ich stieg bei Pablo aus und trat dem Mellors-Imperium bei. Alle Gewissensbisse, die ich gehabt haben mag, wurden mehr als aufgewogen von meiner Freude, den Bootsver-trag an Land gezogen und Pablo zu einem fetten Profit verhelfen zu haben. Pablo nahm die Sache philosophisch auf und war bereit, mir trotz meines Ausscheidens die übliche Provision zu zahlen, da ich die Verkaufsverhandlungen vor meiner Kündigung begonnen hatte. Er trug mir nichts nach. Also schienen alle glücklich und zufrieden zu sein.

  Doch die Zeit verging, und die Verhandlungen zogen sich in die Länge, und Pablo und ich wurden zunehmend unruhiger. Mellors schien nicht bereit, irgend etwas schriftlich festzulegen. Um endlich zu einem Abschluß zu kommen – Mellors hatte auf baldige Lieferung gedrängt – brachte Pablo elf Boote, die eigentlich für andere Kunden bestimmt waren, nach Falcombe und verankerte sie direkt unter Mellors’ Nase hinter dem Falcombe Hotel. Sie alle (deutete Pablo damit an, ohne es auszusprechen) können mit einem Federstrich dir gehören. Doch inzwischen war es September geworden und die Touristen-Saison vorüber; also lag es logischerweise in Mellors Interesse, den Kauf bis zum nächsten Frühjahr aufzuschieben.

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  Währenddessen wohnte ich an Bord einer der Yachten, arbeitete Anzeigentexte aus und traf die grundlegenden Vorbereitungen für das Verchartern der Boote in der kommenden Saison, führte das Falcombe Hotel und erhielt dafür keine andere Vergütung als freies Essen und Trinken. Meine einzigen Einkünfte stammten aus gelegentlichen Beiträgen für Yacht-Zeitschriften.

  Aber Mellors hatte mir für den Beginn der nächsten Saison ein hohes Gehalt versprochen, neben einer Beteiligung an den Profiten von der Vercharterung der Hausyachten.

  Also durfte ich es mir mit ihm nicht verderben, sonst war die Arbeit der letzten Monate nur Zeitverschwendung gewesen.

  »Wovon sprechen sie dort drinnen?« fragte ich.

  »Der alte Mann ist gerade damit fertig geworden, von sich selbst zu erzählen. Das heißt« – ein Unterton von Bitterkeit trat in Pablos Stimme – »er ist damit fertig geworden, ihnen zu erzählen, wie er ins Charterboot-Geschäft eingestiegen ist und nun elf Hausyachten besitzt. Jetzt versucht er, v
on den anderen etwas über die Forschungsstation herauszubringen.«

  »Damit wird er nicht weit kommen. Die Leute von der Station sind ziemlich schweigsam.«

  »Copwright hatte ein paar Drinks.«

  »Aus welchem Grund sollte Mellors sich für die Station interessieren? Da gibt es doch keine Gelegenheit, Geschäfte zu machen, oder?«

  »Ich habe den Eindruck, daß die Station auf einem Grundstück errichtet worden ist, das ihm gehört und der Pachtvertrag einige Unklarheiten enthält. Er deutete an, daß er die Pacht jederzeit erhöhen könne, und auf jeden beliebigen Betrag.«

  »Was hat denn das mit Copwright und Jean zu tun?« fragte ich.

  »Die sind doch nur Angestellte. So etwas sollte Mellors mit dem Boß ausmachen, diesem… wie heißt er noch?«

  »Stratton, glaube ich.«

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  »Oh…« Ein silbriges Aufblitzen unter der Wasseroberfläche ließ mich aufblicken. Ich nahm die Fischpistole vom Tisch und drückte auf einen Knopf. Ein Stromstoß fuhr durch die Angelschnur. Eine Makrele schnellte silbern glänzend aus dem Wasser.

  Ich hob die Pistole und drückte ab. Der Rückstoß der Waffe riß meine Hand ein wenig nach oben. Die Makrele zuckte mitten im Sprung zusammen und fiel ins Wasser; anstatt zu versinken wurde sie an der Oberfläche mitgeschleppt und schlug das Wasser zu schäumender Gischt. Ich schaltete die automatische Rolle ein, und der Fisch wurde herangezogen. Ich schwang ihn über die Reling, und er fiel zappelnd an Deck.

  Pablo bückte sich und löste behutsam den winzigen, mit Widerhaken bewehrten Bolzen aus der Flanke des Fisches, dann zog ich die dünne Nylonschnur und den daran befestigten Bolzen in die Pistolenmündung zurück. Pablo hob den Deckel vom Eimer und warf die Makrele hinein, wo ihr kräftiges Zappeln bei den anderen Fischen reflexhafte Zuckungen auslöste. Er legte den Deckel wieder auf und grinste mich an.

  »Das war ein verdammt guter Schuß. Ich wußte gar nicht, daß du dich in Gegenwart von Frauen unsicher fühlst.«

  »Ich auch nicht.« Pablos rasche Themen Wechsel überraschten mich gelegentlich noch immer, obwohl ich ihn seit Jahren kannte.

  »Die Pistole ist natürlich ein Ersatz. Nein, keine Einwände. Ich weiß es.« In seinen müden Augen lag ein Schimmer von Mitgefühl, als er mich anblickte. Ich wußte, was jetzt kommen würde: eine Kostprobe seiner hausgemachten Philosophie. »Ich habe dasselbe Problem«, sagte er. »Und in letzter Zeit hat es sich noch verschlimmert. Ich bekam einen Minderwertigkeits-komplex dazu. Ich konnte keinem Mädchen mehr ins Gesicht sehen. Also habe ich mir eine Kamera gekauft, eine Minolta. F

  1.4-Linse, automatische Dies und Jenes, ein Traum von Perfektion. Aber war ich nun zufrieden?«

  »Nun?«

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  »Nein. Das Ding hat meine Sehnsucht nach Virilität nicht erfüllen können. Jedes Kind konnte damit umgehen – oder, noch schlimmer, eine Frau. Es sah weibisch aus – besonders, wenn ich das Objektiv herausnahm und ein rundes Loch an der Stelle zurückblieb, wo sonst das F 1.4 saß.«

  Er seufzte und starrte eine Weile auf das Wasser. Gedämpftes Lachen drang aus der Kabine: die Party lief gut. Die Klippen glitten vorüber. Weit hinter uns sah ich das dreieckige Segel einer Yacht, die gegen den Wind auf Falcombe zukreuzte.

  Pablo fuhr fort: »Aber diese austauschbaren Objekte sind eine wunderbare Sache. Ich ging zum Geschäft zurück und kaufte mir ein 3000er Teleobjektiv – ein langes Rohr – und montierte es anstelle des anderen ins Kameragehäuse. Dann hängte ich mir den Apparat um den Hals, so daß er auf meinem Bauch hing und das Teleobjektiv nach vorn ragte. So schlenderte ich die Uferpromenade von Wixmouth entlang und beäugte die

  Mädchen.«

  »Hat es etwas genützt?«

  »Nein«, sagte er traurig. »Sie hielten mich nur für einen Strandfotografen.«

  Dick Orchard trat zu uns an die Reling. Ich hatte völlig vergessen, daß er an Bord war. Er besaß diese gewisse ruhige Zurückhaltung, die im rauhen Lebenskampf nicht immer zum Vorteil gereicht. Er war klein, grauhaarig und alt und besaß ein Kapitänspatent. Pablo hatte ihn angeheuert, um die Hausyachten von Wixmouth nach Falcombe zu bringen und er war noch eine Weile geblieben, um sich zu versichern, daß es keine seemänni-schen oder technischen Schwierigkeiten gab.

  Er hob den Deckel vom Eimer und musterte die Fische. Dann nahm er mir schweigend die Fischpistole aus der Hand und betrachtete sie. Er warf mir einen scheuen Blick zu, als er zu reden begann.

  »Es wäre vielleicht gut, wenn Sie oder ich jetzt das Ruder übernehmen würden, John.« Er deutete mit einem bezeichnen-

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  den Kopfnicken auf das Kabinenfenster. Mellors und seine Frau waren jetzt auf den Beinen; Jean Longhurst stand gerade auf.

  Copwright saß noch immer am Ruder, doch seine Aufmerksamkeit wurde von anderen Dingen abgelenkt, und er war offensichtlich nicht in der Lage, die Yacht zu steuern. Er starrte mit müden, verträumten Augen Jean an.

  »Geh nach vorn, Dick«, schlug Pablo vor. »Wenn du am Hauptruder bist, sage ich den anderen Bescheid.« Er öffnete die Tür, und ich sah ihn mit Copwright sprechen, der grinsend aufstand und sich bemühte, wach und alert zu wirken. Alle drängten jetzt zur Tür, und kurz darauf stand die ganze Besatzung, mit Ausnahme Dicks, auf dem Achterdeck und blickten in das aufgewirbelte Wasser, das hinter uns zurückblieb.

  Ein paar Möwen, die auf Fische hofften, stießen ihre traurigen Schreie aus und schossen herab.

  »Natürlich«, sagte Mellors in seinem aggressiven Tonfall, »läuft die Maschine jetzt stark gedrosselt.« Sein Arm lag locker um Jean Longhursts Taille. Dorinda Mellors stand neben mir und sah teilnahmslos auf die See.

  Ich blickte die Reling entlang auf ihre Gesichter: Dorinda, Wallace Mellors, Jean, Alan Copwright, Pablo. Es mochte an der späten Stunde liegen – da ist etwas im langsamen Übergang zum Zwielicht, das die Phantasie anregt –, doch glaubte ich eine Atmosphäre unterdrückter Gewalttätigkeit in der Gesamtheit dieser Gesichter erkennen zu können. Jeder für sich gesehen waren sie ganz normale Menschen, die auf See hinausblickten, doch zusammen… ich weiß nicht. Ein plötzlicher Windstoß blies einen Gischtnebel über uns, und die Stimmung war verflogen.

  Ich hatte mir das nur eingebildet. Und außerdem spürt man immer eine Atmosphäre unterdrückter Gewalttätigkeit, wenn Mellors dabei ist.

  Wallace Mellors ist um die fünfzig, muskulös, schwarzhaarig, laut, voreingenommen und sehr erfolgreich. Er besitzt einen rauhen Charme und die Fähigkeit, ein Image von unkomplizierter, geradliniger Ehrlichkeit zu projizieren, das, wie ich manchmal zu erkennen glaubte, das Geheimnis seines Erfolges

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  ist. Ich mochte ihn und spürte, daß auch er mich mochte – doch als ich ihn dann besser kennenlernte, bekam ich immer stärkere Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit. Vor ein paar Tagen hatte ich an der Bar mit seiner Frau gesprochen, und irgendwie waren wir auf das Thema meiner Anstellung gekommen. Sie fragte:

  »Haben Sie schon irgend etwas schriftlich, John?« und aus der Art, wie sie das sagte, erkannte ich, daß sie mich warnen wollte, wenn auch sehr vorsichtig…

  »Die Yacht macht mehr als fünfzig Meilen, mit voller Kraft. Was sagen Sie dazu, Alan?«

  Es war eine von Mellors unbeantwortbaren Fragen, mit denen er Menschen in die Defensive drängte. Copwright blickte ihn ruhig an, wenn auch seine Augen etwas verschwommen wirkten.

  Copwright trug eine Stahlbrille und einen Bart, der auf der Unterseite des Kinns sproß; das Kinn selbst war glatt rasiert. Das gab ihm das Aussehen einer intelligenten Ziege. »Verdammt gut, Wal«, antwortete er.

  »Aber ihr Wissenschaftler rechnet sicher mit Lichtgeschwindigkeit, wie, Jean?«

  »Manchmal.« Wenn Alan Copwright Ähnlichkeit mit einer Ziege aufwies, hatte Jean Longhurst das Aussehen eines Pferdes –

  oder zumindest eines Mädchens, das Pferde reitet, was manchmal so ziemlich dasselbe ist.

  »Nun haben Sie sich nicht so
, Jean. Wir alle wissen doch, was in der Station los ist. Wozu also diese Geheimnistuerei?

  Temporal-Forschung, habe ich einmal sagen hören. Was ist das?

  Für mich klingt es wie Zeitreisen.« Er lachte kurz auf, beinahe verächtlich, und der Blick, den er Copwright zuwarf, war prüfend. »Genau wie H. G. Wells es beschrieben hat. Haben Sie Wells gelesen, Alan?«

  Alan seufzte fast unhörbar. Seine Augen waren klarer geworden, die Seebrise, die auf dem Achterdeck wehte, hatte ihn ernüchtert. »Mein Gott, ja. Natürlich habe ich Wells gelesen. Der Mann hatte eine bewundernswerte Vorstellungskraft, für seine Zeit. The War of the Worlds. The First Man on the Moon. Das war

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  erstklassig. Damals. Heute kommt es einem allerdings ein wenig holperig vor.«

  »Die Zeitmaschine…« murmelte Mellors fast unhörbar. »Das wäre eine Idee…«

  »Die können Sie vergessen, Wal.« Copwright amüsierte sich über die durchsichtigen Versuche des Mannes, ihn auszuhorchen.

  »Zeitreisen sind unmöglich. Und die Gründe dafür kennen Sie genau so gut wie ich. Es gäbe zu viele Paradoxa, wie den eigenen Großvater zu töten. Und warum sind denn keine Zeitreisenden aus der Zukunft bei uns, und so weiter. Sie müssen den Tatsachen ins Auge sehen, Wal: Die Zukunft ist noch ungeschehen, und die Vergangenheit ist tot und vorbei.

  Also kann es Zeitreisen nicht geben.«

  »Es wäre sehr viel Geld wert, nur ein kleines Stück, sagen wir einen Tag oder zwei Tage, in die Zukunft treten zu können.

  Überlegen Sie doch einmal, wie man all seine Unternehmungen danach ausrichten könnte.« Ich sah Mellors an, daß seine Gedanken weit weg waren, und in seinen Augen lag ein Ausdruck von Gier.

  »Sie können sich doch wirklich nicht beklagen, Mr. Mellors«, lachte Jean und trat einen Schritt von ihm fort, so daß sein Arm von ihrer Taille glitt. Sie trat an die Backbord-Reling und blickte zum Ufer. Wir hatten eine Bucht erreicht, die Starfish Bay genannt wurde und wo man durch einen breiten Spalt zwischen den Uferklippen einen weiten Blick auf das Land hat, auf Felder, Wiesen, Moor und Heide, bis zu den waldbestandenen Hügelket-ten in der Ferne. Zwei riesige Bäume standen in der Senke direkt am Ufer der kleinen Bucht. Ein paar Wolken schwebten über uns, doch zum größten Teil zeigte der Himmel das fahle Blau des frühen Abends. Tief über dem Horizont hing die Schwärze eines aufziehenden Unwetters, aber es würde einige Stunden dauern, bis es uns erreichte.